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kult und kultur

Alison Louise Kennedy ist eine Autorin aus Schottland. Dieser Tage erscheint ihr Roman "Also bin ich froh" auf Deutsch. Jeannette Villachica von der „Stuttgarter Zeitung“ sprach mit der Autorin, die unter anderem dies dazu sagte: „Ich denke, die Menschen unterschätzen die Wirkung von Worten. Sprache ist sehr erotisch“.

Was sie noch gesagt hat, kann man in der StZ nachlesen.

Erich Fried gehört zu denjenigen Dichtern deutscher Sprache, die sehr selten in den literarischen Kritiken zu finden sind, während seine politische Überzeugung recht häufig kritisiert wurde: er schrieb, so kann man wohl sagen, stets mit Herzblut - dies wird nicht immer verstanden.

Merkwürdig nur, wie der Dichter neuerdings verkitscht wird, seit er den Weg in die Poesiealben gefunden hat: wer Liebesschmerz hat, konnte sich schon immer leicht identifizieren: im Schmerz wird wenig unterschieden. So wurde der Dichter denn benutzt, solange, bis er in der Öffentlichkeit verbraucht war: Was es ist.

Irgendwann einmal musste diese Entwicklung zu einem Desaster werden: Der Dichter wird nicht mehr nur verkitscht, sondern auch noch verulkt und rot-schwarz-gelb angemalt. So weit ist es gekommen, und das Volk jubelt: endlich eine nationale Identität, endlich. Was es ist? Inzwischen eine billige, effektheischende und auf nationalistisches Gedankengut abzielende Schnulze. Was es ist? Nur noch eine „Maxi-CD“.

Fremdwörter sind leicht zu benutzen, weil wir sie normalerweise nicht erklären müssen. Wir können beinahe sicher sein, dass die meisten anderen Menschen sie auch nicht genau verstehen und sie vermutlich meist deshalb verwenden. Respekt ist ein solches Wort. Dabei bedeutet es nicht mehr als „Anerkennung“. „Ich respektiere dich“ heißt wortwörtlich das Gleiche wie „ich erkenne dich an“.

Nur – im Gegensatz zum dahingeplapperten „respektiere deine Mitmenschen“ bekommt „erkenne deine Mitmenschen an“ plötzlich etwas Verbindliches: Ich muss sie nämlich zunächst kennen, um sie anzuerkennen, und um sie überhaupt kennen zu lernen, bin ich gezwungen, in einen Dialog mit ihnen einzutreten – wenn sie denn noch Leben und ich sie erreichen kann.

Wenn ich meine Betrachtungen der letzten Jahre einmal durchsehe, fällt mir bei der Diskussion um die Prostitution auf, dass kaum eine bürgerliche Frau eine Hure respektiert – vor alle, weil sie niemals eine Hure kennen gelernt hat. Das mag, zugegebenermaßen, ein Extrembeispiel sein, es gilt aber, abgewandelt, auch für andere Lebensbereiche.

Was muss man tun, um respektiert zu werden, und was kann man tun, um zu respektieren? Nun, vor allem reden. Der Mathematiker und Schriftsteller Charles Lutwidge Dodgson hat es einmal so ausgedrückt: „Wir können schon (reden). Solange jemand da ist, mit dem es sich lohnt“. Sicher hat er dies für ein junges Mädchen geschrieben. Aber es mag ja auch für andere gelten.

Kunst – da erstarrt das das deutschsprachige Volk vor Ehrfurcht, wenn die Kulturpäpste die Zeilen rütteln. Gerade erst hat man, sehr zögerlich, die Fotografie in den Stand der Kunst erhoben, und geeignete Kritiker für diesen Bereich fehlen, schreibt man vorsichtshalber nichts Negatives, sondern veröffentlicht, was Georg Kreisler schon im „Musikkritiker“ verulkte: „Schubert war ein stierer großer Komponierer … das Buch war sofort ein Riesenerfolg, und es sagten mir viele Herrn: Genial; Großartig; Sie müssen Kritiker wern"!

Doch während die Fotografen der Schönen und Reichen inzwischen in den Galerien hängen, ist ein anderer Typus des Fotografen so gut wie ausgestorben: der Zeitzeuge. Man mag argumentieren, dass auch Man Ray, Annie Leibovitz und Helmut Newton Zeitzeugen waren, muss dann aber ergänzen: Zeugen einer kleinen Schicht der Eliten und Eitlen. Fast keine Marktfrauen, Taxifahrer, Konsumbürger, Nachtschwärmer oder Spaziergänger aus dem Volk. Wäre da nicht Onkel Fritz Foto von der Busfahrt der Belegschaft zur Kohl-und-Pinkel-Fahrt *, niemand wüsste, wie eine Kontoristin anno 1956 gekleidet war, wie sie lächelte und die Beine brav in einer Linie hielt.

Nun besteht das Leben freilich nicht nur aus den Reichen und den zufällig geknipsten Kolleginnen und Kollegen. Es findet auf der Straße, in Hotelhallen, Einkaufszentren und Vergnügungsstätten statt. Dort allerdings fotografiert kaum jemand – außer Straßenfotografen, und dies durchaus auch erotisch. Nein, ich meine nicht diejenigen, die in „einem gegen Einblick besonders geschützten Raum“ fotografieren, wie es in einem neuen Gesetzestext heißt. Ich meine Menschen, die fotografiert werden, wenn sie ihr nacktes Gesicht mitsamt ihren Empfindungen in die Öffentlichkeit tragen. Wer sie indessen ablichtet, zumal in Deutschland, schrammt dauernd am Rande des Gesetzes vorbei: Das Recht am eigenen Bild kann privat eingeklagt werden.

Was werden spätere Generationen einmal wissen von dieser Zeit? Vermutlich nicht viel. Noch leben Zeitzeugen, die das“ Dritte Reich“, den zweiten Weltkrieg, die Trizone und die Anfänge der Bundesrepublik kennen. Werden sie gefragt, was sie erlebt haben in jenen Zeiten? Manchmal. Zu selten. Genau genommen fast nie.

Das führt dazu, dass wir uns kein Bild machen können von dem, was war. Es ist eben Geschichte. Buchwissen, Herrschaftswissen. Wir sind gar nicht gefragt, die Zeitzeugen, die noch von Kälte, Hunger und Adenauer-Staat berichten könnten. Die nachfolgende Generation will es ohnehin nicht wissen – sie ist gegenwärtig ausschließlich mit sich selbst beschäftigt.

Doch was, wenn spätere Generationen einmal fragen werden, wie denn das Leben Anno 2004 ausgesehen haben mag – was werden sie finden? Geschriebene oder fotografierte Zeitzeugnisse? Eventuell gar hier? Vielleicht hier. Aber dann müssten wir alle sehr viel verändern. Auch hier.

* für Nicht-Bremer = Betriebsausflug zu Lokalen, in denen zu Jahresbeginn Grünkohl mit Grützwurst angeboten wird.

Wer erinnert sich noch an Jane Birkin? Ja, die Schauspielerin, die später auch als Sängerin berühmt wurde: Engländerin, in Frankreich lebend. Zuerst wurde sie von den Massen gesehen in „Blow Up“, dann wurde sie von noch mehr Massen gehört in „Je t’aime, moi non plus“. Was wenige wissen: Sie hat mehr gesungen, viel mehr: „Babe alone in Babylon“, zum Beispiel, das auch auf ihrer neuen CD „Arabesque“ zu hören ist. Wie ich gerade jetzt darauf komme? Weil es eine Webseite mit Standfotos aus „Blow Up“ gibt, nämlich hier.

Wie ich bisweilen erwähne, bin ich kein Dichter, doch weiß ich, wo solche zu finden sind. Oder sollte ich sagen: Literaten? Texterzeuger?

Dieser hier schreibt eine Geschichte über kleinbrüstige Frauen, die alle die gleiche Eigenschaft haben: Sie bekommen einen Schluckauf. Wann, wie und unter welchen Umständen sollte man besser selbst lesen, und als Appetithappen vielleicht diesen Satz: „Memphis Slim ist seit zwei Jahren tot, und ich warte noch immer auf ihren Anruf.“ Erinnert mich an Georg Kreisler. Aber der wartete ja 18 Jahre.

Apropos 18 Jahre: So alt sollte man nach Meinung des Betreibers der Seite sein, wenn man dort einfliegt.

Mir klingt in den Ohren etwas nach: Man müsse die Gefühlsäußerungen der Menschen als wertvoll hinnehmen, weil sie doch authentisch seien.

Szenenwechsel: das so genannte „Dritte Reich“. Damen schrieben glühende Liebesbriefe an Herrn Hitler, boten ihm Herz und Seele und (relativ häufig) auch ihren Körper an. Alles authentische Äußerungen von Damen aller Stände und Bildungsschichten.

Mein Misstrauen gegenüber den in manchen Blogs und anderen zeitgenössichen Äüßerungen aufkommenden Gefühlswallungen sind durch diesen Beitrag nicht eben kleiner geworden, wenngleich ich Unterschiede durchaus erkennen kann.

Allerdings ergibt sich daraus eine neue Fragestellung: Darf man, soll man, oder muss man gar in die Öffentlichkeit gebrachte Gefühle kritisieren?

(Die Frage wurde am 25.02.2004 ergänzt, ebenso wurde eine marginale Korrektur an der Aussage vorgenommen).

Diskutiert worden ist es schon oft, auch hier: Das „vollständige Verstehen“ einer anderen Person wird, vor allem in deutschsprachigen Ländern, als Krone des Menschseins angesehen. Dem wäre kaum etwas hinzuzufügen, wenn klar wäre, was „vollständiges“ Verstehen eigentlich bedeutet: Es ist mehr als Mitfühlen und geht sogar noch über das Einfühlen hinaus: Letztlich bedeutet es: Fühlen, genau so, wie der andere fühlt. Andere mögen nun darüber urteilen, ob dies in der Welt möglich ist oder eher in den Bereich der Utopien gehört, doch eines ist sicher: Unter Menschen, die anwesend sind, ist es eher möglich, ehrlich mitzufühlen als in der Denkwaschküche „Internet“.

Immer, wenn vom „Fühlen“ die Rede ist, steht auch die Tür zum Kitsch offen: Statt zu verstehen, werden Gefühle als Selbstzweck verherrlicht und nachträglich schön bemalt wie die Ostereier. Nichts geht den oberflächlichen Menschen so schnell über die Hirn-Sprache-Schranke wie Mitgefühl: „ich verstehe dich sehr gut“ ist einer der Sätze, die wir besonders leichtfertig auf den Lippen führen. Da viele Menschen ihn auch benutzen, wenn sie so gar nichts verstanden haben, ist er eben auch eine Lüge. Bei dieser Gelegenheit sollten wir nicht vergessen, dass „Verstehen“ auch eine Technik ist: Ein Gesprächspsychotherapeut braucht nicht unbedingt zu verstehen, er muss nur durch sein eigenes Verhalten bewirken, dass sich ein anderer versteht.

In unserem Alltag überprüfen wir ohnehin kaum, ob wir wirklich verstanden werden: Wir wünschen uns vom anderen, uns das Gefühl zu geben, verstanden worden zu sein: das mag ein pragmatischer Ansatz sein, der gelegentlich weiterhilft – er bringt aber keinerlei (Er)Kenntnisse über unser tatsächliches Erleben. Es bleibt, wie es immer war: Erkenntnis ist ein verdammt hartes Stück Arbeit und nur schwer zu gewinnen, während Sprüche schnell dahin gesagt sind.

Mein Fazit: Wir alle gewinnen durch echtes Mitgefühl, doch wir verlieren, mindestens langfristig, durch Gefühlskitsch, der, dies gebe ich gerne zu, auch ab und an wohl tun kann - er bildet aber leider nicht.

Als ich in den 50ern in Deutschland Schüler war, wohnte in der Lehrerschaft noch eine Mischung aus bürgerlichen Traditionen, nationalistischer Vergangenheit und neuem Aufbruch. Letzterer führte dazu, Kritik zu lehren, doch wie? Unsere Kultur erfand die „konstruktive Kritik“, also die Möglichkeit, etwas zu kritisieren, wenn die Kritik mit einem konstruktiven Vorschlag zur Veränderung verbunden ist. Damit wurden die jungen Menschen mundtot gemacht: Schließlich verstanden sie nicht genug von den Dingen, um genügend konstruktiv sein zu können.

Die jungen Leute hatten freilich gut gelernt: Ende der 60er Jahre begannen sie mit allerlei Manifesten in der Hand, die immer noch junge Republik zu kritisieren: und diesmal hatten sie Alternativen, wenngleich diese oft nicht sehr konstruktiv waren. Aber dennoch: Kritik wurde Mode, und die Alternativen konnten in beliebigen Blumenfeldern bestehen, die irgendwelche Randsiedler züchten wollten: Alles schien zu gehen.

Seit etwa Mitte der 80er ist das „alles geht“ in „keine Kritik an niemandem“ umgeschlagen – oder besser: hinzugekommen, denn natürlich gab und gibt es auch heute noch Kritiker und Mahner, die konstruktiv sein wollen und solche, die sich auf Dogmen berufen und starr auf deren Einhaltung drängen.

Neben all dem vergessen wir off, dass Kritik selbst eine Kunstform ist – bemerkt wird dies weniger in den Gazetten als in den modernen Unterhaltungsmedien: Wird sie rhetorisch perfekt vorgetragen, sehen Fernsehzuschauer plötzlich sogar Literaturkritik.

Der Sinn von Kritik ist freilich ein anderer: Kritiker nehmen etwas ernst, das andere ignorieren, und sie haben eine gute Absicht, die von ihren Gegner heftig angefeindet wird: Sie wollen die Kultur verändern, und, wenn es ihnen denn gelingt, hoffentlich verbessern.

Ein wichtiges Geheimnis des hiesigen Faschingsbrauchtums hat die regionale Sonntagszeitung „Der Sonntag“ enthüllt: Die badisch-alemannische Fasnet ist zwar auch erotisch, denn es wird heftig geflirtet, für die Folgen müssen aber doch jeder selbst aufkommen: „Geheime Babykassen“ für ungewollte Fasnetbabies, so wurde dem Journalisten aus der Fremde beschieden, seien ein Mythos.

Leider kein Link - "der Sonntag" ist momentan gerade in Renovation, statt dessen ein Bild einer "Gugge(n)musik".

guggemusik guggenmusik

(C) 2004 by sehpferd

 

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