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Wie schön, wenn sich die Presse mal auf eine einheitliche Formel einigt: Der Satz „Die Reichen werden immer Reicher, die Armen immer ärmer“ durchzieht die gesamte heutige Presse. Aber: Die gängige Standardfamilie mit zwei Kindern, die der Maßstab für die Betrachtungen sein sollte, ist eben nicht „ärmer“ geworden – es hat überwiegend die Singles getroffen. Alleinerziehende traf es ebenfalls, was nicht verwunderlich ist: an ihnen zeigt sich eine verfehlte Politik von Adenauer bis Kohl, und erst langsam findet ein Umdenken statt, denn selbstverständlich gehören Alleinerziehende an einen Arbeitsplatz und dürfen nicht dauerhaft der Sozialhilfe zur Last fallen.

Freilich sollte man dabei bedenken, dass alle Versuche der Gesetzgebung, Alleinerziehende aufgrund der besonderen Situation besser zu stellen als Vollfamilien, bislang an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgesetzes gescheitert sind. Vereinfacht: Alleinerziehende dürfen nicht besser gestellt werden als Vollfamilien. Grund dafür ist immer wieder der unsägliche § 6 unserer Verfassung, der nicht die Familie, sondern ausdrücklich Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt.

Untersucht werden sollte einmal, ob und warum die „Armen immer ärmer werden“ – dies ist nämlich keinesfalls bewiesen. Was wir wissen, ist nur, dass es zu einem Stichtag in Teilen der Bevölkerung mehr Armut gab als zuvor und dass es später durchaus Verschiebungen gab.

Es wäre gut zu wissen, wie die Armen aus der Falle wieder herauskamen, doch das interessiert die heutige Presse mit ihren meist plakativen und teilweise populistischen Aussagen kaum noch. „Die Armen werden immer ärmer“ kling eben effetvoller, auch, wenn es erlogen sein sollte.

Diskriminierung ist schlecht, darin sind sich alle einig, aber ein Vorschriftendschungel ist noch viel schlimmer, vor allem, wenn er zur Lähmung der Handlungsfähigkeit führt. Das wird aber der Fall sein, falls das stark von der Grünen Partei beeinflusste Gesetz jemals den Bundesrat passieren sollte.

Den Minderheiten wird mit der überzogenen deutschen Vorschriftenreiterei ohnehin nicht geholfen. Schily hat Recht: Das Gesetz muss dringend auf das EU-Mindestmaß heruntergestutzt werden: Ganz schön mutig für einen SPD-Mann.

„Ideologie“ werfen Wissenschaftler der Bundesverbraucherschutzministerin vor. Ob sie in diesem Fall Recht haben oder nicht: Rot-Grün verdrängt nicht nur die Genforschung, sondern auch die Genforscher ins Ausland, wobei die Grüne Partei die treibende Kraft sein dürfte.

Die Polemik der CDU/CSU ließ nicht lange auf sich warten, doch ist diesmal ein Körnchen Wahrheit dran: „Grüne Ideologie … (ist) der Ruin des Landes“ ist natürlich die pure Polemik, aber dass Deutschland nur (noch) „eine Ressource: die Köpfe der Menschen“ hat, ist Tatsache.

Vielleicht sollten die Grünen einmal darüber nachdenken, dass Köpfe auswandern können – man nimmt sie anderwärts mit Kusshand, wenn ihnen die deutsche Regierung gewissermaßen ein Arbeitsverbot auferlegt.

Freilich muss die CDU/CSU aufpassen, wenn sie von „Ideologie“ redet: Was bei den Grünen die ideologisch motivierten „Gutmenschen“ sind, sind in der Union die Extremkatholiken. Sie haben ganz ähnlich Auffassungen.

Einen Pakt haben sie angeboten, die Dame Merkel und der Herr Stoiber. Was an diesem Pakt dran ist, konnten sie offenbar weder der Presse, noch den eignen Parteimitgliedern noch dem politischen Gegner erklären. Wir vermuten mal dies: heiße Luft.

Doch von heißer Luft haben wir wirklich genug. Wir wollen endlich wissen, wie die CDU/CSU Arbeitsplätze schaffen will. Klar geht das eventuell mit einer Lockerung gewisser Vorschriften: Rot-Grün hat ja inzwischen dafür gesorgt, dass sich wegen des Vorschriftenchaos kaum noch jemand selbstständig macht, es sei denn, er wäre arbeitslos – nicht unbedingt die beste Voraussetzung für eine Selbstständigkeit. Aber der Wähler erwartet von der Union einen Plan, keine Kartentricks.

Nein, Deutschland muss nicht eingepa(c)kt werden – Deutschland braucht neue Ideen, neue Köpfe in allen Parteien – und eine neue Regierung. In dieser Reihenfolge.

Deutschland will, wie in mehreren Presseberichten bekannt wurde, eine Modifikation der EU-Dienstleitungsrichtlinie. Als Ziel wird angegeben, die Qualität der Dienstleistungen, die in Deutschland erbracht werden, zu sichern. Die Beispiele dazu werden an den Haaren herbeigezogen: so zum Beispiel, dass eine polnische Putzkolonne nach EU-Richtlinien auch Putzmittel nehmen dürfe, die in Deutschland wegen Gesundheitsgefährdung verboten seien.

Das mag alles zutreffen, aber wo immer, wann immer und wie immer ich in diesem Land nach Dienstleistungen frage, sind sie unbezahlbar oder sie werden gar nicht erst angeboten. Deutschland ist und bleibt eine Dienstleistungswüste – mit freundlicher Unterstützung der Bundesregierung und unter Mithilfe der Gewerkschaften.

Vielleicht könnte einmal jemand der Union ins Gewissen reden, und ihr Folgendes sagen: Wer morgen regieren will, sollte heute beweisen, dass er eine gute Kinderstube hatte.

Das scheint nach neuesten Äußerungen führender CDU- und CSU Politiker nicht überall der Fall zu sein. Die beiden Unionsparteien präsentieren sich als orientierungsloses Gebilde, das ratzfatz auf alles einschlägt, was Regierung bedeutet.

Zuerst bolzte Frau Merkel. Ob es nun einen Untersuchungsausschuss in der Visa-Affäre gibt oder nicht, ist der Dame, wie es scheint, egal. Sie forderte den deutschen Bundesaußenminister Fischer indirekt auf, zurückzutreten, nämlich dann, wenn er „noch einen Funken Selbstachtung hätte“. Offenbar besitzt sie selbst diese Selbstachtung, doch gibt es auch in ihrer Biografie ein paar unklare Punkte, wie wir uns erinnern – aber Selbstkritik war nie die Stärke von Frau Merkel. Ihre bisherige Stärke, die Zurückhaltung, scheint sie allerdings auch vergessen zu haben: Sie lässt sich immer mehr in die Anti-Regierungs-Kampagne einbinden und vergisst dabei, dass sie eigentlich eine Pro-CDU Kampagne lostreten müsste.

Derweil erweist sich der CSU-Mann Markus Söder einmal mehr als Mann fürs Grobe: Er warf dem deutschen Bundeskanzler eine „Mitschuld“ an den Sexualverbrechen vor, die an Kindern begangen wurden. Es ist ja möglich, dass ich mich Irre, aber hätte er da nicht auch die Bundeskanzler von Adenauer bis Kohl mit einbeziehen können, falls es eine solche Schuld geben sollte? Aber das macht ja nichts. Die Wahrheit ist nichts mehr wert. Hauptsache, man kann der „BILD am Sonntag“ wieder einmal eine Vorlage geben, um ihre Stammtischsprüche loszuwerden. Selbst, wenn Söders Vorschläge nicht völlig abwegig sind, ist der Angriff auf den Kanzler eine Unverschämtheit, die ihresgleichen sucht.

In Bild wird Rot-Grün dann auch systematisch in den Abgrund geschrieben. BILD nennt so etwas eine Analyse, doch der Analyst kann auch nur Bolzen und reitet auf den Arbeitslosen herum: „Es sind Schröders Arbeitslose. Es sind die Arbeitslosen von Rot-Grün.“ Es gibt kaum noch einen Unterschied zwischen der Meinung von BILD und der Absicht der CDU/CSU: Die Regierung soll offenbar demontiert werden.

Wie nahe sich BILD und die CDU/CSU sind, wird auch in einem anderen Fall deutlich: die Schleswig-Holstein-Wahl. Der Zweifel am SSW wird gemeinsam von der CDU und der BILD-Zeitung genährt: Hand in Hand geht man den Weg der Schamlosigkeiten.

Nutten machen sich immer gut bei der Hexenjagd auf Politiker, und bei dem gegenwärtigen Kesseltreibgen auf Bundesaußenminister Fischer ist sich die WELT am Sonntag nicht zu schade, zu titeln: „Mit diplomatischer Hilfe ins Berliner Bordell“. Selbst die Badische Zeitung schlug in dieselbe Kerbe und titelte „Über das Visum direkt ins Bordell?“, wobei man ihr zugute halten muss, im Text darüber aufzuklären, dass dem nicht so ist: Die Visa-Vergabe habe nicht zur Zwangsprostitution geführt, ja, nicht einmal zu mehr Schwarzarbeit.

Mag sein, dass der Bundesaußenminister gegenwärtig nicht gut aussieht in der so genannten Visa-Affäre, mag sein, dass er jetzt nur der zweitbeliebteste Politiker der Bundesrepublik ist: er hat die Hexenjagd, die von der rechten Parlamentsseite dickbackig herausposaunt wird, nicht verdient, und Meinungsmache wie "Beihilfe von Rot-Grün zu Menschenhandel, Zwangsprostitution, Schwarzarbeit“ kommt aus jener Schublade, die Politiker gemeinhin nur öffnen, wenn Wahlkampf ist.

Das ganze Visa-Gedöns ist in Wahrheit nichts wert – und zudem schon Schnee von gestern: Die Ausgabe von Visa ist 2004 unter das Niveau von 1998 gesunken. Die Union spekuliert auf die niedrigen Instinkte der Bürger und eine Presse, die sich nur allzu bereitwillig an dem Halali auf Fischer beteiligt.

Zudem bewirkt die Union mit ihrem Gerede nicht nur eine Destabilisierung der Regierung, sondern auch eine der deutschen Interessen. In der Situation, in der wir sind, gilt es, alle Kräfte darauf zu verwenden, unsere Wirtschaft wieder in Fahrt zu bringen – und jede Ablenkung davon schadet uns allen. Dazu allerdings braucht man kein Gezeter und Geseire, sondern Geist und Tatkraft. Die trauen die Deutschen Herrn Fischer allerdings immer noch zu, wenngleich er nicht mehr auf Platz 1 steht. Dort steht allerdings auch nicht Frau Merkel, die für viele Deutsche der Inbegriff der Unwählbarkeit ist, sondern der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff. Frau Merkel wird sich einmal fragen dürfen, warum.

Die geistlose Herumbolzerei deutscher Politiker reißt nicht ab: Jetzt sah sich auch der FDP-Politiker Jürgen Koppelin veranlasst, den SSW in Schleswig-Holstein anzugreifen. Er diffamierte die SSW-Spitzenkandidatin damit, ihr Verhalten sei „undänisch“, wörtlich: „Frau Spoorendonk stellt damit die dänische Welt auf den Kopf“.

Was der Mann sonst noch gesagt hat, steht im SPIEGEL. Nun, wenn man sich selber absolut ins Aus stellen will, bitteschön, Herr Koppelin, es sei ihnen gestattet – nur sollten sie sich vielleicht das nächste Mal überlegen, dass sie nicht nur sich, sondern und ihrer Freien Demokratischen Partei damit viel Schaden zufügen.

Er war Vorbild, ein Mann, wie ihn sich Bürger und Politiker wünschen: Volksnah, geschickt, souverän und durchsetzungsstark, einer der letzen einer Politikergeneration, der mein volles Vertrauen gehörte.

Doch die alten Zeiten sind vorbei. Heute kann man Politiker wie ihn mit der Lupe suchen: Ben Wisch, bürgerlich Hans-Jürgen Wischnewski, starb gestern im Alter von 82 Jahren.

Der Möchtegern-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen , behandelte Heide Simonis dieser Tage wie eine abgewählte Dorfbürgermeisterin und keuchte aufgebracht in Mikrofone, sie sei ja abgewählt – deswegen wolle er keine große Koalition mit ihr.

Auch Angela Merkel wusste mal wieder alles besser: Sie verpasste Heide Simonis einen dorfschullehrerhaften Verweis, indem sie sagte, Frau Simonis sollte sich „hinter die Ohren schreiben“ das erst das Land, dann die Partei und dann die Person käme.

Derweil bolzt der Unions-Fraktionsmanager Norbert Röttgen mit seinem offenbar fehlenden Demokratieverständnis auf den SSW ein: Er verhalte sich „verfassungspolitisch hoch problematisch“.

Nein, Herr Röttgen, tut er nicht: Er respektiert nur den Willen seiner Wähler. Das sollten sich andere Parteien auch einmal überlegen.

 

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