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changes

Die Psychologen lehren gerne: „Sagen Sie „ICH“, wenn Sie sich meinen, sagen Sie nicht „du, man oder wir“. Sollte ich jetzt zu meiner Frau sagen: „Ich will einmal im Jahr nach London fliegen!“

Sage ich es, dann fragt sie mich ironisch: „Würdest du mich eventuell mitnehmen?“

Also sage ich gleich: „Wir könnten eigentlich mal zusammen nach London fliegen“. Das ist natürlich völlig falsch, würden die Psychologen sagen, nicht nur wegen des Gebrauchs von „wir“, sondern auch, weil ich „eigentlich“ verwende – aber sehen Sie, das kann ich ertragen.

Warum ich das alles schreibe? Weil wir vorsichtig sein müssen mit dem, was wir lehren. Selbstverständlich kann es gut sein, im Gespräch gelegentlich zu sagen, was man selber denkt, meint oder fühlt – es unterstreicht die persönliche Anteilnahme.

Das gleiche „ICH“ kann aber auch selbstherrlich oder sogar kindisch wirken. Von erwachsenen Menschen wird erwartet, dass sie mehr tun, als uns mit dem vollzudröhnen, was ihr ICH uns alles sagen will. Wir erwarten, dass sie sich im Dialog für uns interessieren, nicht nur für sich selbst.

(Wortgleich in "Changes")

Manchmal frage ich mich: Wer von diesen Schülern und Studenten, die sich im Internet über Paul Watzlawick äußern, hat ihn eigentlich im Original gelesen, und vielleicht etwas mehr als das, was zwischen den Seiten 50 und 71 der deutschsprachigen Ausgabe steht? (Das Standardwerk „Menschliche Kommunikation“ hat 253 Seiten).

Haben sie zum Beispiel die Einleitung zum zweiten Kapitel gelesen?

„... handelt das vorliegende Kapitel also von provisorischen Formulierungen, die weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Endgültigkeit erheben“.

Oder die Randnotiz zum zweiten Axiom?

In diesem Definitionsversuch nehmen wir etwas arbiträr (1) an, dass der Beziehungsaspekt den Inhalt determiniert (2) ... obwohl es ebenso logisch wäre ... dass ... die Beziehung vom Inhaltsaspekt ... bestimmt wird.“

Haben sie vermutlich nicht. Allerdings: Wenn sie es denn gelesen hätten, würden die Lehrenden dies wirklich goutieren? Ich bezweifele es.

(1) Arbiträr - willkürlich
(2) Determiniert - bestimmt

Wie Sie als ständige Leserin oder ständiger Leser vielleicht wissen, beschäftige ich mich im Moment so sehr mit „Changes“. Sehen Sie, und dabei fällt mir etwas höchst Unerfreuliches auf: In unserem Wissenschaftsbetrieb scheint weder das Wort „Freude“ noch das Wort „Lust“ eine Rolle zu spielen. Oder haben Sie schon einmal gehört, dass es Lustaspekte bei der Kommunikation gibt?

Offenbar flirten Psychologen nie. Oder zeigt sich beim Flirt eher der Selbstoffenbarungsaspekt? Nun, vielleicht, wenn die Dame über das Vehikel analog übermittelter Beziehungsaspekte ein zusätzliches Knöpfchen an der Bluse öffnet. Ach, sie meinen, im Alltag würde man das anders ausdrücken? Da haben sie Recht – aber dann sind Sie vermutlich kein trutzig die Fahne des Elfenbeinturms schwenkender Wissenschaftler.

In Changes auch hier diskutierbar

Merkwürdig – die Metakommunikation ist bei Psychologen, Soziologen und anderen Wissenschaftlern, die am menschlichen Verhalten forschen, ein stets beliebtes, meist blumig umkränztes Thema – wahrscheinlich, weil das Wort so schön geheimnisvoll klingt.

Tatsächlich findet die Form von Metakommunikation, die uns die Psychologie lehrt, im Alltag nur selten statt. Sie ist auch meist nicht wirklich nötig, denn der kluge Gesprächspartner hat andere Mittel: Er kann beispielsweise die Ebenen wechseln oder die Dinge in einem anderen Licht aufzeigen. Wer Dialoge führt, muss sensibel für seine Partner sein, das ist bei weitem effektiver als der ständige Gebrauch von Metakommunikation.

Schon Paul Watzlawick hatte mit der Metakommunikation Unrecht, als er schrieb, dass der Beziehungsaspekt eines Gesprächs den Inhaltsaspekt dominiert und „daher eine Metakommunikation ist“. Allerdings war Watzlawick noch so klug, in einer Randnotiz zuzugeben, dass er diese Behauptung willkürlich aufgestellt hat. Offensichtlich haben seine Abschreiber diese Stelle übersehen.

In „Menschliche Kommunikation“ (Watzlawick, Beavin und Jackson)

Machmal denke ich: Diese Wissenschaftler müssen lauter alternde Ehepaare untersucht haben, um zu ihren Forschungsergebnissen über Kommunikation zu kommen. Für Seminare und dergleichen wird dann einfach abgeschrieben, was diese Forscher gesagt haben, etwa dies „wenn der Inhalts- und Beziehungsaspekt mit ihren Botschaften nicht übereinstimmen, gibt es Störungen und Probleme“.

Bei einem der aufregendsten und erfolgreichsten Gespräche, die wir überhaupt haben können, nämlich einem Flirt, der ins Partnerbett führt, stimmt die Beziehungs- und die Inhaltsebene am Anfang überhaupt nicht überein, und auch die analoge Kommunikation eilt der digitalen bei weitem voraus.

Sehen sie, so ist es eben: Wenn Inhalts- und Beziehungsebene nicht übereinstimmen, dann gibt es Spannungen. Daraus schließen zu wollen, dass es gleich „Störungen und Probleme“ sind, ist nichts als ein Vorurteil – es kann ebenso gut ein Kreativitätsfaktor sein.

(gleichlautend in "Changes")

Machmal lächele ich, wenn sich vorgeblich gebildete Menschen darüber unterhalten, ob Kommunikation geschlechtsspezifisch ist. Sind Frauen und Männer etwa anatomisch gleich? Senden sie die gleichen Duft- und Lockstoffe aus? Sind ihre Bewegungen identisch?

Ich hoffe, sie haben drei Mal „Nein“ gesagt – dann haben sie drei Argumente dafür, dass es eine geschlechtsspezifische Kommunikation gibt. Aber das meinen die (Pseudo-?)Intellektuellen gar nicht, die darüber so gerne diskutieren – sie wollen vielmehr die Unterschiede im Alltag herausarbeiten und kommen dann auf den Gedanken, Frauen seien in erster Linie „am Ziel der Symmetrie interessiert“. Ander gehen noch weiter: Sie glauben, dass Frauen „alles“ tun, um sich in Gesprächen devot zu verhalten, also beispielsweise nicht auf eigene Themen und Meinungen zu bestehen und damit letztendlich auf Erfolg im Gespräch zu verzichten.

Soweit jedenfalls die Meinungen aus dem Elfenbeinturm, sinngemäß zitiert nach der Germanistin Senta Trömel-Plötz. Sie (Jahrgang 1939) wird immer noch als Kronzeugen zitiert, wenn es um Frauensprache versus Männersprache geht – doch ihre Beobachtungen liegen nun schon mindestens zwei bis drei Jahrzehnte zurück.

Inzwischen, so scheint mir, haben Frauen dazugelernt – und beherrschen das gesamte Repertoire der Kommunikation in all seinen Nuancen. Doch sie haben über das neue erlernte und sehr brauchbare Repertoire der Verhandlungskunst nicht vergessen, dass auch die früher als „typisch“ weiblich bezeichneten Eigenschaften durchaus zum eigenen Vorteil eingesetzt werden können. Beides zusammen, einmal grob als selbstbewusstes und charmantes Handeln bezeichnet, macht Frauen zu Verhandlungspartner, die kein Mann unterschätzen sollte.

Im Blog Changes wird das Thema etwas sachbezogener, aber ansonsten im gleichen Sinne behandelt.

Die Schwierigkeit bei der Metakommunikation besteht darin, dass einer der Beteiligten über eine neue Kommunikationsebene verhandeln muss. Das ist oftmals schwierig und dann aussichtslos, wenn der andere nicht zustimmt. Lewis Caroll (der im Leben ja nicht nur Kinderbuchautor, sondern vor allem Mathematiker war) hat dies besonders treffend in „Alice hinter den Spiegeln" beschrieben.

Englisch:

"Do you know Languages? What's the French for fiddle-de-dee ?"
"Fiddle-de-dee's not English," Alice replied gravely.
"Who said it was?" said the Red Queen.
Alice thought she saw a way out of the difficulty this time. "If you'll tell me what language "fiddle-de-dee' is, I'll tell you the French for it!" she exclaimed triumphantly.
But the Red Queen drew herself up rather stiffly, and said, "Queens never make bargains."


Deutsch:

»Kannst du Sprachen? Was heißt Larifari auf französisch?«
»Larifari ist doch gar nicht deutsch«, erwiderte Alice ernsthaft.
»Sagt ja auch keiner«, versetzte die Schwarze Königin.
Diesmal erschien es Alice, als hätte sie einen Ausweg gefunden. »Wenn Ihr mir sagt, welche Sprache 'Larifari' ist, dann sag ich Euch auch, was es auf französisch heißt!«, rief sie siegesbewußt.
Aber die Schwarze Königin richtete sich nur ziemlich steif auf und sagte: »Königinnen (ver-) handeln nicht«


(Übersetzung von Christian Enzensberger, Insel Verlag)

Mehr dazu hier.

Falls Sie sich Gedanken darüber machen, ob sie sich verändern sollten, dann fragen Sie sich vielleicht: Ist die Methode, die mir die angeboten wird, „wissenschaftlich völlig abgesichert“? Ich muss Sie enttäuschen: Sie ist es nicht – und zwar gleichgültig, für welche Methode sie sich entscheiden.

Hier können Sie mehr darüber lesen.

Irgendwie erschrecke ich, wenn ich auf das Erscheinungsdatum meines mehr als zerlesenen Exemplars sehe: "Menschliche Kommunikation", zuerst erschienen in New York, Anno 1967. Tatsächlich – das Buch muss vor etwa 40 Jahren geschrieben worden sein. Ein Buch, das nie ernstlich angezweifelt wurde, und das dennoch ständig auf Kritik stieß – zumeist bei jenen, die keine neuen Erkenntnisse hatten. Seien wir mal ehrlich: wo bleiben sie eigentlich, die Forschungsergebnisse über die menschliche Kommunikation? Zusammengefasst, verständlich, in Buchform? Wo steht sie eigentlich, die neue, umfassende, bahnbrechende Theorie mit praktischen Anwendungsbeispielen, dort draußen, im ganz normalen Alltag?

Wenn ich mich dies so frage, dann erinnere ich mich an ein Gespräch mit einer Studienrätin – es ist nicht ganz vier Jahre her. Sie wollte mir imponieren, indem sie von en Unterschieden der „verbalen“ und „nonverbalen Kommunikation“ sprach. Ich entgegnete, so, wie ich es gelernt hatte, mit „analog“ und „digital“ und erntete Empörung.

Zugegeben, die Wortwahl ist nicht alles, aber es erwies sich: Sie hatte nie von diesem Buch gehört und behauptet mit Nachdruck, so etwas wie „analoge“ und „digitale“ Kommunikation existiere nicht. Bei soviel Ignoranz, denke ich, brauchen wir noch lange keine neuen Theorien – wir müssen vermutlich erst einmal die Lehren von vorgestern gegen die von gestern eintauschen.

Um wissenschaftlich interessierten Lesern und Praktikern die Gelegenheit zu geben, Sinn und Unsinn der Kommunikationstheorien zu diskutieren, habe ich eine neue Kategorie in „Changes“ eingerichtet. Sie heißt „Im Fokus“ und wird hauptsächlich Artikel beinhalten, die sich mit den Vordenkern der Kommunikationstheorien beschäftigen.

Die Kommunikationstheorie von Paul Watzlawick steht dabei oft auf dem Prüfstand. Ist sie heute eigentlich noch aktuell? Wird sie richtig interpretiert? Was bleibt an der Theorie unklar, was muss bezweifelt werden, wie kann sie ergänzt werden?

Sie sind eingeladen, mitzudiskutieren.

 

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