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aufgegriffen

Ich wundere mich über die vielen Menschen hier und anderwärts, die etwas über den „Schrei“ schreiben. Ob sie Munch wirklich kennen? Oder Oslo? Oder gar das Museum? Ich fürchte: nein, nein, nein. Sie haben von Munch im Kunstunterricht gehört, einstmals. Das war es dann.

Wenn ihr englischer Freund ihnen sagt, er habe „some nice tits“ gesehen, sollten sie lieber noch einmal nachfragen, wo er sie gesehen hat. Auch die Suche nach „tit pics“ im Internet kann zu diesem Ergebnis führen. Der Tipp kam von Fabian.

Drei Dinge sind es, die an Hartz harzen. Zunächst wäre da schon der Name. Man nennt so etwas nicht hartz, sondern „Harmonisierungsgesetz für den Lebensunterhalt Erwerbsloser“. Das ist es, das soll sein, und so ist es auch gut. Zweitens die Art, in der es in die Welt gebracht wurde: Man kann nicht einfach irgendwas in den Expertenstuben beschließen, es dann politisch absegnen und der Bevölkerung vorenthalten, wie es zu verstehen ist. Wenn hier schon Regierung und Opposition versagen, warum zum Beispiel ergreift der Bundespräsident nicht das Wort? Drittens aber ist es auch die Wirtschaft. Sie hätte längst erklären können, was Hartz bedeutet und was sie, die Wirtschaft nun zusätzlich leisten wird, wenn Hartz (wie ich meine endlich) umgesetzt wird.

Das Volk hat ein Recht, aufgeklärt zu werden: Das hat man versäumt, und die Schlampigkeiten nehmen kein Ende: noch weiß niemand, wie unsere Krankenversicherung einmal aussehen wird: Weder die Vorschläge von CDU/CSU noch von SPD/Den Grünen oder der FDP erscheinen realistisch – und ob sie vor dem Verfassungsgericht bestand hätten, ist ebenso unwahrscheinlich. Der Bürger hasst dieses öffentliche Geschwafel: er will vor allem Planungssicherheit für sein Leben. Hat er die nicht, gibt er kein Geld aus, und die Binnenwirtschaft lahmt, So einfach ist das.

Die Demonstranten? Wir lernen, dass der Osten anders denkt als der Westen. Das kann vorläufig nicht verhindert werden. Freilich wären dort Proteste gegen den Bodensatz der SED-Ideologie angebrachter als Proteste gegen Hartz. Den totalen Versorgungsstaat auf immer gab es schon einmal - er hieß DDR.

Hans-Martin Gauger machte gestern in der Badischen Zeitung den „Versuch einer Entbiesterung“ der Rechtschreibreform. Er schrieb den Aufsatz in der herkömmlichen Rechtschreibung. Das Erste, was man feststellt: man kann den Versuch lesen. Das Zweite: wäre er in der neuen Rechtschreibung geschrieben, könnte man ihn auch lesen.

Das, was die Sprachwissenschaftler interessiere, schreibt Herr Gauger, würde sonst kaum jemanden interessieren, und was sie nicht interessiere, die Rechtschreibung, interessiere die Bevölkerung sehr: In den Redaktionen würden sich die Briefe zur Reform stapeln.

Ich wundere mich nicht, dass sich die Bevölkerung so ereifert: ihr sind die wirklichen Probleme in Deutschland über den Kopf gewachsen, und nun halten sie sich an das, von dem sie glauben, etwas davon zu verstehen: Rechtschreibung. Das ginge noch an, denn fehlendes Problembewusstsein ist ein Makel der Ausbildung – die Menschen sind also nicht schuld an ihrer Einseitigkeit.

Was mich allerdings wundert, ist der Aufstand der Literaturproduzenten und Verleger. Sie sollten etwas klüger sein als die Masse des Volkes. Allerdings soll es laut Gauger Hoffnung geben: Die „Entbiesterung“, wie er es nennt, soll von der „Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung“ kommen. Wie schön für uns alle. Ich allerdings bin sicher, dass die "Biester" nicht aussterben, egal, was vorgeschlagen wird.

Anmerkung: Die „Badische Zeitung“ erlaubt „Fremdlesern“ nicht, auf ihre Online-Ausgabe zuzugreifen.

Heute aufgegriffen, weil es in einem Artikel vorkam, den ich las:

Da hätte, so der Autor, eine Ruhrpott-Mutter ihren Kindern gesagt, sie sollten deutlich sprechen, nämlich nach der Schrift. Mir sagte es niemand, doch als ich begann, lupenreines Hochdeutsch zu sprechen, meinte meine Umgebung, ich würde die Wörter „falsch“ aussprechen. Man schriebe schließlich „Steine“ und deswegen könne es auf keinen Fall „Schteine“ heißen. Andererseits sagen die Leute in meiner Heimat „Koschtüm“, wo es dann doch eben „Kostüm“ heißt.

Damit nicht genug: Mit der erlernten Hochsprache ging ich nach Schwaben – und wurde bald darauf angesprochen, warum ich ständig „nach der Schrift“ reden würde. Für mich war inzwischen absolut normal, nur nach „nach der Schrift“ zu reden, - ich hätte ohnehin nie gewusst, warum ich irgendwie anders reden sollte.

Jetzt ist wieder viel von „der Sprache“ die Rede, und fast immer ist die Schrift gemeint. Rechtschreibung? Ich wäre froh, wenn die Schulen mehr für die „Rechtsprechung“ tun würden, für ein elegantes, klares, hochwertiges Sprachdeutsch.

Doch stattdessen reitet jede Landschaft auf ihrem Dialekt herum, wo es schwätzet und babbelt und snackt: dem Kritiker wird schnell verkündet, es handele sich um die „Sprache des Herzens“. Soll er sie doch sprechen – in seiner Familie, am Stammtisch und meinetwegen bei der Liebe. Aber mit mir - mit mir sollen die Menschen bitte hochdeutsch sprechen, sonst können sie mir nötigenfalls gestohlen bleiben.

“They are playing a game.
They are playing at not
playing a game.
If I show them I see they are,
I shall break the rules and they will punish me.
I must play their game, of not seeing I see the game.”

R.D. Laing ("Knots") Penguin Books, 1970 (Meine Ausgabe)
Wieder zu haben bei Amazon.

Ich schrieb bereits vor langer Zeit, dass der Psychiater Ronald D. Laing mit diesem Gedicht die Psychogruppen entlarvt hat. Aber gilt es nicht auch für andere Gruppen, vom Ehepaar über die "Bloggergemeinde" bis zum ganzen Volk?

Der kritische Schriftsteller oder Journalist hat die ehrenwerte Aufgabe, das Spiel zu entlarven, auch wenn es noch so schmerzhaft ist. Täte er es nicht, er würde seine Berufung verfehlen.

Am Beispiel von Sigmund Freud will ich gerne einmal die Welt des Diagonaldenkers vorstellen. Für den einfachen Denker ist Dr. Freud der Begründer der Psychoanalyse, die sich seither offenbar linear in irgendeiner Form entwickelt hat. Wenn es hoch kommt, wissen kluge Gymnasiasten noch etwas von Alfred Adler und C.G. Jung, danach verliert sich meist das Schulwissen im Nebel.

Der Diagonaldenker geht von vornherein anders an die Sache heran: Er fragt sich, in welchem Licht man Dr. Freud sehen könnte: Vielleicht zunächst als Mediziner (dies war schließlich sein Beruf), als Ausdruck des Zeitgeistes? Als Verkörperung des niedergehenden Bürgertums? Als Revolutionär des Selbstverständnisses der Menschen? Vielleicht als wichtigtuerischen Schriftsteller, der nicht abwarten konnte, bis seine Erkenntnisse gesichert waren?

Schon allein die Betrachtung zeigt zweierlei: Erstens würde man sich solche Fragen nicht stellen, wenn Dr. Freud nicht wichtig gewesen wäre, und zweitens, dass es eine Fülle von alternativen Sichtweisen geben könnte, die sich aber durchaus wieder an den Enden verknoten lassen.

Wir Menschen haben, so denke ich, einen Vorteil, wenn wir uns die Möglichkeit des Andersdenkens erschließen. Hinzu muss freilich noch die Fähigkeit kommen, sich von der Ideologie frei zu machen und zu einem der vielen lösungsorientierten Möglichkeiten des Handelns aufzuschwingen.

Einem Buchhalter kann man kein X für ein U vormachen, und auch einem Dachdecker nicht: Beide verfügen über gesicherte, fundierte Erkenntnisse ihres Fachs, zu denen andere selten Zugang haben. Anders ist es freilich bei sozialen, psychischen oder religiösen Problemen: Hier wird das Eis der Wissenschaftler schnell dünn, und wir erleben ein seltsames Phänomen, dass wir sonst nur vom Biertisch kennen: Je mehr wir dem Saufkumpel seine Automarke madig machen, umso mehr rudert er dagegen und beginnt, Unsinn zu reden.

Man muss, so denke ich, ein gewisses Verständnis für die Geisteswissenschaftler und Geistlichen haben, die so reagieren: Sie wissen natürlich, dass ihr Eis sehr dünn ist. Bezeichnen es nun aber andere als dünn und beweisen sie es gar, so behaupten sie sofort, dass ihre Scholle auch Eisbären tragen würde, wenn denn nur welche da wären. Ich verrate ihnen, meine lieben Leser, eines: Es sind nie Eisbären da.

So stehen sie denn da, die Angegriffenen, Aufgeplusterten und um Atem ringend, was nicht gerade gesund ist. Ich empfehle Ihnen, meine Damen und Herren, vorsichtig zu sein: Wenn das Eis unter ihnen erst bricht, brauchen sie fremder Menschen Hilfe. Ich hoffe, dass sich dann ein Rettungsfahrzeug mit den notwendigen Realitäten in der Umgebung befindet.

Klingt ein bisschen satirisch, meinen Sie? Selbstverständlich. Aber es hat einen wahren Kern. Wer glaubt, dass ich auf aktuelle Ereignisse hier und anderwärts Bezug nehme, mag Recht haben.

Die Art, in der wir Wissenschaft betreiben, funktioniert auf eine höchst zweifelhafte Weise: Meist greifen wir auf die Antike zurück, in der wir ja ein kleines Repertoire von bereits Vorgedachtem finden. Nehmen wir also das "Ich". Nach allgemeiner Auffassung, der sich schwerlich widersprechen lässt, kann der Mensch zwischen sich selbst und seiner Umwelt unterscheiden - daher also das Ich.

Als Herr Freud auftrat, verdreifachte sich das ICH

So weit, so gut, jedenfalls bis Herr Freud kam, jener Herr, der missionarisch die menschliche Psyche erforschen wollte, und dies dann auch ebenso vehement wie schlampig tat. Jener also pfropfte dem Gedankengebilde schnell noch ein "Es" auf, das den wuseligen Urgrund symbolisieren sollte und, da dies immer noch nicht hinlangte, auch noch ein "Über-Ich" als regulierende Super-Instanz. Der heiligen Dreifaltigkeit nicht unähnlich, war das Ganze eher die Konstruktion eines fantasievollen Autors als das Forschungsergebnis eines Arztes, aber, nun ja, mit Präzision hatte es Herr Freud nicht so. Nachdem nun einmal klar war, dass Wissenschaft, wie Freud eindrucksvoll vorführte, keines eigentlichen Beweises bedufte, kamen dann auch Generationen von Nachahmern, die ihrerseits kühne und fast immer mit einem esoterischen Heiligenschein umkränzten Theorien vorschlugen, allen voran der unsägliche Carl Gustav Jung, dem die zweifelhafte Ehre gebührt, den Aberglauben in die moderne Wissenschaft eingebracht zu haben.

Moderne Menschenbilder finden kaum Eingang in die Psychotherapie

Die moderne Psychologie hat immerhin geschafft, den Begriff der psychologischen Dreifaltigkeit wieder auf das "Selbst" und schließlich auf die "Persönlichkeit" zu reduzieren, doch wollte man nicht weiter gehen. Eine der modernsten Wissenschaften nämlich, die Kybernetik (und die mit ihr verbundene Informationstheorie) entwirft nämlich ein ganz anderes Bild: Demnach ist für den Zustand der Psyche, soweit sie sich überhaupt geistig seelisch erfassen lässt (sie ließe sich nämlich auch biologisch-seelisch erfassen) eine Instanz im Gehirn zuständig, die wir als ein lebendes Modell der Wirklichkeit bezeichnen können. Je zutreffender die dort gespeicherten Informationen und je unproblematischer sie zur Verfügung stehen, umso besser funktioniert das Mensch-Umweltverhältnis und desto "gesünder" ist die Psyche. Selbstverständlich kann das Modell optimiert werden, zum Beispiel durch Lernen, aber es kann ebenso auch "gestört" werden, beispielsweise durch biochemische Einflüsse wie eine aufkeimende Liebe.

Psychoanalyse ist eine wissenschaftliche Untote

Selbstverständlich ist eine solche Erklärung der Psyche noch zu einfach, sind Details nicht zu Ende gedacht. Dennoch aber scheint ein solches Modell transparenter zu sein als das Gewusel von Ahnen, Kindheit und Tiefgrund, das sich letztlich niemandem öffnet als einem Psychoanalytiker.

Manche Zweige der Psychotherapie wissen um solche Modelle, die Mehrheit jedoch wird abwehrend die Hände heben: Was nicht sein kann, das darf auch nicht sein. Machen wir uns nichts vor: Die alte Tante Psychoanalyse ist die größte wissenschaftliche Untote, die unsere Universitäten pflegen.

Weitere Informationen zur Psychoanalysekritik: hier, mehr Kritik dann hier.

Nachdem die Gewerkschaften in den vergangenen Woche eher eine zwielichtige Rolle bei den Montagsdemos gespielt haben, ist Vernunft nun zurückgekehrt: DGB-Chef Sommer warnte vor „Rattenfängern“ und „Missbrauch“. Es gibt also, wie es scheint, doch ein Licht am Ende des Gewerkschaftstunnels.

Wobei ich meine, dass die Rattenfänger sowohl auf der rechten wie auf der linken Seite lauern – und sogar in Organisationen, die sich gerne das Kleidchen der Bessermenschen anziehen.

Gelesen in der Netzzeitung.

 

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