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aufgegriffen

Péter Esterházy hat den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten. Das wäre allein schon der Erwähnung wert, aber er hat noch dies gesagt: „Ich erlebe immer wieder, dass ich hoffnungslos Europäer bin.“ Ich, für meinen Teil, wäre schon froh, wenn mehr Menschen hoffnungsvoll Europäer wären.

Die Rede des Preisträgers habe ich, im Übrigen, in Ungarn im deutschen Fernsehen gehört – so kann man virtueller Kosmopolit sein.

Seit Eduard Berliner einst die sich drehende Scheibe erfand, in deren Tiefe die Wellen der Musik eingraviert waren, verband sich der Begriff „Musik“ Musik fast automatisch mit dem der „Scheibe“. „Tonscheiben“ nannten Spötter sie in den 50er Jahren. Recht lange Zeit sah es so aus, als ob das Tonband den Scheiben Konkurrenz machen sollte – erst 19 cm pro Sekunde, dann handlichere 9,5, schließlich technisch dank Dolby und Ferroband verbesserte 4,75. Inzwischen scheint die Tonbandtechnik den Studios vorbehalten zu sein – und selbst die liebäugeln heute bereits mit der Digitaltechnologie.

Doch die Scheibe hat überlebt – sie dreht sich als Magnetscheibe im Computer und seinen Abkömmlingen, und als CD oder DVD auf einer Fülle unterschiedlicher Geräte.

Weil sich aber eine CD dreht wie eine Schallplatte, diskutiert ein kleines Häufchen von unermüdlichen weiterhin darüber, welche Antriebsart und Aufhängung für einen CD-Spieler wohl die beste sei, und wehe, jemand würde dann „Voodoo“ sagen. Freilich muss man sehr lange sehr viele Leute einladen, bis „bewiesen“ wurde, dass „Hörproben unabhängiger Experten“ das eine (manchmal auch das andere, meist das teurere) Antriebssystem für hörbar halten: „ein erheblich transparenteres Klangbild mit fein abgestuften Höhen“ heißt es dann – oder so ähnlich. Zwar sind der dichterischen Freiheit kaum Grenzen gesetzt, doch scheitert die Erfindung neuer Superlative oft an sprachlichen und geschmacklichen Grenzen. Bei Redakteuren, die darüber hinausgehen, „musizieren“ dann bereits die Kabel.

Das alles hat ungefähr den Wert der Hohlwelttheorie: Die Erde ist innen hohl, und wir leben auf der Innenseite. Der Beweis ist bereits erbracht: Die Schuhsohlen laufen sich immer nach der Erdform ab: Spitzen und Abätze müssen zuerst erneuert werden.

Ein schönes Wochenende.

Der heutige Kult um die Sexualität will uns Glauben machen, dass Körper immer schön sind und der Liebesakt immer lustvoll ist. Natürlich glauben wir das nicht, aber wir lesen es so gerne, weil es doch so schön wäre.

Das wirkliche Leben hält dem nicht stand. Die Liebe stärkt das Herz, aber sie zerreißt es auch, und der Körper öffnet sich der Liebe mal willfährig und verschließt sich dann wieder abrupt. Das ist Leben.

Oder sagen wir: Das war das Leben. Bevor es „uncool“ wurde, unsicher zu sein, Schwierigkeiten zu haben oder überhaupt wirklich lebendig zu sein.

Seither ist alles Fassade – aber wehe, jemand sagt so etwas. Die „coole“ Gesellschaft könnte sich ja gestört fühlen, wie schrecklich.

Angeregt durch Kitten.

Hochverehrtes Publikum, hier haben wir das Karussell. Sehen sie die stolzen weißen Rösser, die geschmückten Elefanten, die langhalsigen Giraffen und die rosa Schweinchen, und oben drauf, da sitzen die Mägdelein und Knaben und mit ihnen fliegen uns noch mal die Sprüche um die Ohren, die wir alle einmal gehört haben – und auch selbst ausgesprochen.

Da kommen die Schweine daher – da muss ich an meinen alten Deutschlehrer denken, der oft wie ein SS-Mann in die Klasse kam und „Blitz“ schrie, als wolle er den verlorenen Krieg doch noch gewinnen. Dann die stolzen Giraffen, sie waren gegen die Nazis, konnten es gar nachweisen, aber sie blickten doch verächtlich auf die Kinder der Emporkömmlinge, die sie von Herzen verachteten. Die nunmehr weißen Pferdchen waren einst braun gewesen, aber sie hatten nun ja einen Persilschein – damit war die Vergangenheit abgewaschen – und man konnte alles werden, unter anderem Ministerpräsident. Die Bürger mutierten langsam zu Elefanten, wurden träge und mutierten zu Fernsehhockern –Politik fand nicht mehr statt.

Dann kam 1968. Die Giraffenkinder hatten mittlerweile die Hälse gereckt und schrieen „Bürger lasst das Gaffen sein, reiht euch ein in unsere Reihen“. Bürgerkinder gegen Bürgereltern. So nötig die 68er Revolution war, um den braunen Mief wegzublasen (nach 23 Jahren, man denke) so elitär war sie auch. Verstanden wurde ohnehin nur an der Universität, was mit den Doktrinen gemeint war, und dort auch nur vereinzelt. Kein Wunder, dass die Kinder von Marx und Coca Cola bald umschwenkten: Aus der extremen Gehirnakrobatik kühn gedrechselter Sätze wurden einfach Botschaften: „Verlier den Verstand und komm zu Sinnen“. Das Karussell, das dreht sich immer rundherum.

Als sie den Verstand dann völlig verloren hatten, zogen sie sich orange Gewänder an und gingen zu den geschmückten Elefanten nach Poona, ließen viel Geld a und kamen zurück als falsche Nonnen und Mönche.. Da sie schon mal beim Hokuspokus waren, machten sie dort gleich weiter: „Esoterik“, das neudeutsche Wort für Irrglauben, machte die Runde, aber keine Angst, das Karussell dreht sich weiter. Heute schon treten die neuen Linken mit schrägen Posaunentönen an, während auf der anderen Seite die Gutmenschengruppe ihre Legionen formiert, um eine neue Moral zu erkämpfen.

Von Frauen will ich lieber gar nicht reden. Erst trugen sie Panzerwäsche, um niemanden an sich heran zu lassen, dann warfen sie mit den BHs ebenfalls den Verstand weg, übernahmen die Psycho- und Aberglaubenbranche vollends und landeten bei Hexentänzchen. Nein, niemals alle und nicht ausschließlich – es gibt immer Menschen, die gar nicht Karussell fahren mögen. Aber für diejenigen, die stets einsteigen, wenn die Ausrufer ihre großen Töne spucken, dreht sich das Karussell weiter - immer rundherum und rundherum.

Passt auf, ihre Zuschauer, dass euch nicht schwindlig wird.

In der Leserbriefspalte meiner Zeitung gab es gestern wieder eine heftige Leserdiskussion über Abtreibungen. Was mir daran auffällt: Auch wenn die Argumente längst ausgetauscht sind, ja, sogar, wenn ein gesellschaftlicher Konsens gefunden wurde, graben die ideologisch orientierten Maulwürfe ständig neue Gänge.

Könnte man nicht einfach sagen: „Obwohl ich den Schutz des menschliche Lebens vertrete, verstehe dich dennoch die Entscheidung einer Mutter, abzutreiben? Nein, kann man nicht? In Deutschland nicht, wo es nie ein „sowohl als auch“ sondern nur ein „entweder oder“ gibt?

Nein, geht nicht, wenn man ein Maulwurf ist. Dann muss man die Gesellschaft wohl ständig untergraben, damit man überall diese kleinen Hügelchen aufbauen kann, die zeigen: Da hat einer mal wieder gebuddelt.

Edith Fischnaller folgt dem umstrittenen Exjournalisten Elias Bierdel im Vorsitz der Hilfsorganisation „Cap Anamur“. Bierdel hatte sich vor wenigen Monaten auf spektakuläre Weise in die Schlagzeilen der Medien katapultiert, was ihm einige Kommentatoren nachträglich als PR-Masche auslegten.

Offenbar erfolgte die Abwahl Bierdels auf einer ganz gewöhnlichen Mitgliederversammlung. Ein Sprecher beeilte sich, zu erklären, dass es nicht die Flüchtlingsaffäre war, die zur Abwahl Bierdels führten, sondern dass es „interne Gründe“ gegeben habe.

Ein „interner Grund“ könnte freilich auch gewesen sein, dass Elias Bierdel dem Ansehen der „Cap Anamur“ durch seine Eskapade Schaden zugefügt hat.

Einverstanden mit dem Satz? Na bitte. Irgendwelche pubertären Sprücheklopfer haben daraus gemacht: „Wer ficken will, muss freundlich sein“. Wer dem einen Satz dem anderen gegenüberstellt, wird natürlich Unterschiede entdecken.

Was mich wundert: Wer benutzt eigentlich solche Zotensätze wirklich? Ich kann mich nicht erinnern, solche einen Satz in meiner weitesten Umgebung schon einmal gehört zu haben. Ja, es gibt einen Musiktitel, und ja, es gibt T-Shirts. Über die „quietschgelbe Vinylscheibe“ gleichen Namens der Gruppe „ATOMSPIONE“ gibt es sogar eine Besprechung im Internet. Doch denke ich, dass durchaus Lebensumgebungen existieren, die sich solchen Sprüchen verweigern – und ab und an kann man den Rotznasen, die so reden, auch einmal auf die Finger klopfen.

Die Initialzündung zu diesem Beitrag kam von hier.

Warum vergleicht in Deutschland eigentlich jeder den eigenen nach außen sichtbaren Wohlstand mit dem des Nachbarn? Das wäre die eine Frage. Die andere: Warum kaufen dieselben Leute, die mit ihren Automobilen, ihrer Kleidung und ihrem Vermögen herumprotzen, dann ihre Nahrungsmittel bei Billigstmärkten?

Schließlich die dritte Frage: Wenn der Nachbar eine teure Münchner Limousine, eine schöne Frau, eine externe lustbetonte Freundin, mehreren Armani-Anzügen und ein Wohnhaus besitzt: Macht ihn das glücklicher als mich?

Die Menschen, die ständig vergleichen, ständig neiden und ständig hadern, vergessen etwas: die Werte, die das Leben ausmachen, kommen von innen, und sie sind unvergleichbar. Der beste Rat, den ich geben kann: Vergleiche nie, sondern entfalte deine Fähigkeiten, bis du den Wind spürst, der unter ihre Flügel kommt – dann lass dich tragen, wohin du willst.

In den letzten Monaten ist eine merkwürdige Gruppe von Leuten der ultralinken und sozialistischen Szenerie entstanden, die mit dem Begriff „Neoliberal“ herumschmeißt wie mit faulen Eiern. Doch die meisten so genannten „Neo-Liberalen“ sind ganz einfach Liberale. Die Wirtschaft ist für sie ein Teil ihres liberalen Weltbildes, und er wird von den meisten liberalen Bürgern keinesfalls hervorgehoben.

Meine eigene Meinung hat sich in den letzten Jahren nur in einem Punkt gewandelt: Ich trete nach wie vor für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit im Rahmen der demokratischen Möglichkeiten ein. Nur mache ich mir mehr Gedanken über die Gerechtigkeit. Das muss erlaubt sein, auch für einen eher Altliberalen, der dennoch kein F.D.P-Anhänger ist. Das „Neo“ schenke ich jenen zurück, die gerne Schlagworte gebrauchen oder in den Kellern wissenschaftlicher Begrifflichkeit gefangen sind.

Etwas bringt mich zum Lachen: Der Glaube deutscher und österreichischer Akademiker, sie würden die Welt alleine deshalb erklären können, weil sie in ferner Zeit einmal ein Fach studiert haben, das ihnen ein kleines Fenster zur Erkenntnis geöffnet hat.

Der Rest von uns, der mit dergleichen Fenstern nicht gesegnet wurde, muss wohl mit dem gesamten Universum vorlieb nehmen – wir, die wir nichts verstehen, erfreuen und dann eben an seinem Anblick.

 

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